Vincents Tagebuch

Jugendglühen

von | 28. Juni 2024 | Allgemein

Ach, das Schießtalfreibad mit seiner riesigen Umkleidebaracke. Dort roch es nach sonnendurchglühtem Holz, nach Badeöl und Urlaub. Ein kleiner See glitzerte für Unerschrockene, für Naturoldies die sich stoisch durch die Algen wühlten. Die Jugend amüsierte sich lieber am Fünfzigmeterbecken und dort saß Vincent als “Lonely Cowboy” und sinnierte, wie es wohl unter den Badeanzügen der Mädchen aussah. Dann gewahrte ich ein MilchundBlutmädchen auf langen Beinen, das mit wehend schwarzen Haaren einen Köpfer vom Dreimeterbrett veranstaltete. Welche Verwegenheit, und wie eine Diva war sie Ihrer Performance voll bewußt. Alles glotzte und ich verliebte mich schlagartig in sie. Die darauffolgenden Tage trabte ich erwartungsvoll ins Freibad. Vergebens. Tag für Tag gerieten meine Gedanken immer mehr zum Kochen. Gegen Ende der Ferien sah ich sie wieder, mir brannte fast die Sicherung durch, und ich wollte mir ein Herz fassen, das dann kurz vor dem Sprung des Tigers, als kläglicher Showdown auf meinem Badetuch endete. Ich traute mich einfach nicht.

Anderntags ging die Reise wieder zurück ins Internat und ich hatte im Kopf meine Göttin, die mir immer vertrauter wurde. Um diese ausufernde Phantasie beneide ich mich heute immer noch. Ich baute mir die Traumfrau in meinem Hirn zusammen und bis die nächsten Ferien mich beglückten war ich sozusagen verheiratet. In den Herbstferien hatte das Freibad wegen kaltem Wetter bereits geschlossen und alle mentalen Befehle versagten um meine Angebetete herbeizitieren zu können. Mein Zimmerkamerad im Internat hatte sich auch eine Maid angelacht und als er gestand, dass sie erst zwölf Jahre alt war, musste ich schon schwer grinsen. Ganz klar, dass es für meinen Kumpel nie “zum Äußersten” gekommen war. Er meinte auch, er könne warten. Da musste ich ihm beipflichten, denn es ist ja allgemein bekannt, dass Jugend ein Fehler ist, der sich von Tag zu Tag bessert.

Mit meiner Liebe sah es finsterer aus. Durch mein Gemüt trampelte eine Herde Elefanten, ich geriet in Turbulenzen von Frust, Resignation und immer wieder schwappte eine sanfte Wut über meine Schüchternheit im Kopf.

Umgekehrt gibt es sicher auch haufenweiße glühende Mädchenherzen, die schwärmen wie die Hummeln und müssen erleiden wie der angebetete Stoffel gar nix merkt, oder in ein anderes Nest stolpert. Was tun? Die enttäuschten Gefühle können wirkliche körperliche Schmerzen verursachen. Man könnte sich mit irgendwelchem Zeugs oder haufenweise Bier betäuben, ich möchte jedoch eine bessere Medizin anbieten und die nennt sich Beschäftigungstherapie. Das hätte damals bedeutet, dass ich mich in Schulbüchern hätte vergraben müssen. Das habe ich auch getan, außer Mathematik, die mir heute noch ein Rätsel ist. Mein Vater ist letztlich schuld an meiner Zahlenlegastenie. Er meinte nämlich, dass Kenntnisse über Zahlen nicht gut für den Charakter seien. Welch ein Blödsinn. Und trotzdem, er meinte wahrscheinlich, dass man nicht allzusehr auf den Mammon setzten sollte, der ja schwer etwas mit Zahlen zu tun hat.